Liebe Lüsnerinnen und Lüsner, niemand von uns hätte je gedacht, dass wir einmal in so eine Situation kommen: alle Gottesdienste fallen aus, Hotels, Restaurants und Bars müssen geschlossen werden, der Skibetrieb wird plötzlich eingestellt, nur in begründeten Fällen dürfen wir Haus und Wohnung verlassen, Straßen und Autobahn sind fast leer, die Krankenhäuser mit Ärzten und dem gesamten Personal in der Sanität stoßen an ihre Grenzen, Politiker und Zivilschutz müssen drastische Entscheidungen für Wirtschaft, Tourismus und Freizeit treffen und vieles mehr.
Ich habe den Eindruck, dass die Welt auf einmal so still wird; die Zeit bleibt fast stehen; die Schöpfung kann aufatmen, weil Wasser sauber wird und die Luft sich erholt. Täglich feiere ich die hl. Messe in der Pfarrkirche – vor leeren Bänken. Ich verspüre keinen Druck, zu einer nächsten Messe weitereilen zu müssen.
Endlich habe ich Zeit, die biblischen Tageslesungen auf mich wirken zu lassen. Ich habe Zeit für die Stille zwischen den Texten und Gebeten. Schnell ist mir aufgefallen, dass Lesung und Evangelium nun einen ganz anderen Klang bekommen. Sie sprechen in unsere derartige Situation hinein. Einiges davon möchte ich mit euch teilen.
Der Prophet Jesaja spricht: „Wascht euch, reinigt euch! Lasst ab von eurem üblen Treiben! Hört auf, vor meinen Augen Böses zu tun! Lernt, Gutes zu tun! Sorgt für das Recht! Helft den Unterdrückten!“ (Jes 1,16-17)
Sind wir in den letzten Jahrzehnten wirklich zu egoistisch geworden? Haben wir wirklich nicht mehr auf die Stimme des Herrn, unseres Gottes gehört und seine Befehle nicht mehr befolgt, die er uns durch seine Diener, die Propheten, gegeben hat? „Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein“ sagt uns Jesus (Mt 20,26-27).
Wie oft weisen wir einen Armen ab, der vor unserer Tür klopft und wie oft sind uns die vielen Flüchtlinge zu lästig. So hat uns Jesus in diesen Tagen auch das Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus erzählt. Wie sehr kann auch ich mich in jenem Mann wiederfinden, der das Beste nur für sich selber will!
Der Prophet Micha hat in diesen Tagen eine Bitte ausgesprochen, die zu unserer Bitte geworden ist: „Herr, führe mit deinem Stab dein Volk auf die Weide, die Schafe, die einsam lagern in einer Wildnis“ (Mi 7,14). Ohne Gottesdienste sind wir Christen wie „Schafe ohne Weide“. Gläubige haben das Gefühl, in einer Wüste zu sein, wo es keine Quelle gibt.
Ich habe auch gemerkt, wie viele zusammen mit dem Propheten Daniel die Sorgen aussprechen, dass „wir in diesen Tagen weder Vorsteher noch Propheten haben, und keinen, der uns anführt“. Die fehlenden Brand-, Schlacht- und Speiseopfer sind für mich Sinnbild für die fehlenden Gottesdienste (vgl. Dan 3,38). Uns fehlen nicht nur das Wort Gottes und die hl. Kommunion – es fehlt uns auch die Gemeinschaft.
Als Christen sind wir aber Menschen, die auf Gott vertrauen sollen. Gerade in der derzeitigen Situation dürfen wir das wieder neu lernen. Der Prophet Jeremia spricht uns Mut zu: „Gesegnet der Mann, der auf den Herrn sich verlässt und dessen Hoffnung der Herr ist. Er ist wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist; er hat nichts zu fürchten“ – auch ein Wort, das die Liturgie in den letzten Tagen zu uns gesprochen hat (Jer 17,7-8).
So dürfen wir uns in der derzeitigen Ausnahmesituation besonders im Gebet miteinander verbunden fühlen und alle Menschen mit einschließen, die derzeit, aus welchem Grund auch immer, leiden müssen. Wir dürfen uns in der geistigen Gegenwart Jesu geborgen wissen und auf die Hilfe Gottes vertrauen.
In dieser für uns alle schwierigen Zeit sollen wir nicht verzagen und rufen: „Gott, warum lässt du das zu?“ Stattdessen sollen wir, getragen durch eine lebendige Gottesbeziehung und eine gelebte Freude am Evangelium, fest verankert im Vertrauen auf die Führung unserer Himmlischen Mutter Maria und der vielen Heiligen, fragen: „Gott, was willst du uns hiermit sagen?“
Ich lade ein, neben den weltlichen Hygienevorschriften ähnliches auch im geistlichen Bereich zu tun: tägliche Gebetszeiten halten (Morgen- und Abendgebet, Tischgebet, wenn möglich auch Rosenkranz oder Kreuzwegandacht), in der Heiligen Schrift lesen, die Mitfeier der hl. Messe über das Radiogerät mit Empfang der geistigen Kommunion.
Möge in euch die Zuversicht, die Erfahrung, die Gewissheit aufkommen, dass „Gott ein sicherer Hort, ein schützender Fels ist, zu dem ihr allezeit kommen dürft. Er hat versprochen zu helfen“ (vgl. Ps 71,3)
Gott segne euch alle. Er bewahre euch vor der Ansteckung des Corona-Virus und schenke euch Gesundheit. Ich bete für euch alle!
Pfarrer Konrad Gasser