Liebe Gläubige, liebe Mitchristinnen und Mitchristen,
noch ist das Grab mit einem schweren Stein verschlossen, jedoch wird dieser Stein weggenommen werden – mit diesen Worten habe ich das Grußwort des letzten Pfarrbriefes abgeschlossen. Aufgrund der vielen Einschränkungen, die uns immer noch auferlegt sind, scheint es uns allerdings, dass der schwere Stein noch da ist; er ist nicht weggenommen.
An diesem Osterfest haben viele von uns vermutlich das Gefühl, dass zwischen der österlichen Freude und den vielen schlechten Nachrichten der Welt noch eine Kluft da ist. Der österliche Ruf „Christus ist von den Toten auferstanden; er lebt und er will, dass auch wir leben“ steht ganz im Gegensatz zu der Verzweiflung, die uns derzeit trifft, im Gegensatz zu den gelebten Unsicherheiten inmitten des unvorhergesehenen Ausnahmezustandes.
Eine Frage, die ich mir gestellt habe ist, warum uns diese Traurigkeit heuer besonders trifft. Gibt es nicht jedes Jahr zu Ostern in vielen Teilen der Welt Krieg, Unfrieden, Hungersnot, Ausbeutung und anderes Leid? Und trotzdem feiern wir Ostern. Nehmen wir in diesem Fall das Leid der Welt gar nicht mehr wahr? Denken wir da nur noch an uns selbst? Heuer sind wir einmal selber betroffen und wir alle spüren, was es bedeutet, nicht an der vollen Osterfreude teilnehmen zu dürfen.
Der unvorhergesehene Ausnahmezustand aufgrund des Corona-Virus stellt uns unsere Zerbrechlichkeit vor Augen. Ich glaube, gerade deshalb sehnen wir uns in Zeiten von persönlichen und sozialen Unsicherheiten, in Zeiten von Leid und Tod nach der Zusage, dass all das nicht das letzte Ziel unserer Existenz ist. Ostern will uns helfen, trotz allem was uns im Leben widerfährt, nicht die Hoffnung zu verlieren, nicht aufzugeben, nicht zu verzagen.
Wenn wir auf das Evangelium des Ostersonntags (Joh 20,1-18) schauen, dann begegnet uns Maria von Magdala. Am Morgen des ersten Tages, also am Tag nach dem jüdischen Sabbat, der später zu unserem christlichen Sonntag wird, kommt sie weinend zum Grab Jesu. Die in der Erzählung angesprochene Dunkelheit ist ein Zeichen ihrer Verzweiflung und Traurigkeit.
Im Anblick der derzeitigen unüberwindlichen Probleme können wir Maria von Magdala vielleicht gar in einem jeden von uns finden. Wie sie sind auch wir misstrauisch, mutlos, ohne Hoffnung. Auch wir weinen. Es ist das Weinen von Menschen, die mit ihrem Alltag nicht mehr zurechtkommen; das Weinen von Familien, die nicht wissen, wie es mit der Arbeit, der Schule oder der finanziellen Lage weitergeht; das Weinen von Menschen, die ihre Arbeit verloren haben; das Weinen von Jugendlichen, die in ihrer Freizeit sehr eingeschränkt sind; das Weinen von Ärzten und Krankenschwestern, die nicht mehr genügend Kraft haben; es ist das Weinen von alten, dementen und kranken Menschen, die keine Kontakte zu ihren Angehörigen haben dürfen; dann auch das Weinen im Abschiednehmen. Wir weinen, weil wir nicht in der Lage sind, die Zeichen des Auferstandenen rund um uns zu sehen. Wir weinen, weil wir keinen Ausweg aus Kummer und Beunruhigung sehen.
Das Evangelium erzählt uns, wie Jesus sich ganz behutsam Maria nähert. Er nähert sich ihr mit einer tiefen Zärtlichkeit: „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“ (Joh 20,15) Jesus spricht sie an. Maria darf das aussprechen, was sie bedrückt. Dann spricht Jesus sie beim Namen an. Er weckt in ihr den Glauben und die Hoffnung. Er hilft ihr zu verstehen, dass da ein Vater ist, der uns liebt und dass wir alle Brüder und Schwestern sind: „Geh zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ (Joh 20,17) Nun ist sie gelöst, befreit von ihren Sorgen.
Getröstet und gestärkt durch die Begegnung mit dem Auferstandenen läuft sie zu den Aposteln, um zu verkünden: „Ich habe den Herrn gesehen!“ (Joh 20,18) Sie weiß, dass nun alles gut wird. Sie blickt in eine neue Zukunft und ihre Freude kann durch nichts mehr verhindert werden. Können wir derzeit, aber auch in anderen Krisen des Lebens, erahnen, dass Gott immer da ist, auch wenn uns alles andere verlässt? Leider sehen wir das dann oft nicht.
Im heurigen Ostergruß sagt Bischof Ivo Muser: „Seit Ostern haben die Tränen, die Trauer, die Krankheit, die Gewalt, das Unrecht, der Tod und das Grab, so bedrückend sie auch sein können, nicht mehr das letzte Wort. Der Gekreuzigte lebt: Dieses Bekenntnis ist Ausgangspunkt, Fundament und Mitte des christlichen Glaubens… Stellen wir gemeinsam den Gott unseres Lebens ganz in die Mitte dieser Tage und erneuern wir unsere Hoffnung auf IHN, der am Kreuz Jesu und durch dieses Kreuz hindurch gezeigt hat, dass er auch dort noch nicht am Ende ist, wo wir Menschen am Ende sind.“
Der Bischof meint, dass es gerade jetzt viele Zeichen des Lebens braucht: Zusammenhalt, Solidarität, gute Worte und viele kleine und große Zeichen der Nähe und Verbundenheit. Gerade „jetzt braucht es die Hoffnung, die Ostern uns schenken kann“, so Bischof Ivo Muser.
Ostern will uns ermutigen, aufzubrechen, das Leben neu zu wagen. Jesus zeigt uns, dass es einen Ausweg aus unseren menschlichen Zerbrechlichkeiten gibt. Es ist die Hoffnung des Auferstandenen, die unser Leben tragen muss.
Gerade in dieser Zeit des Corona-Virus sollten wir uns gegenseitig zurufen: „Ich habe den Herrn gesehen“ und so die Hoffnung des Auferstandenen weitertragen. Jesus ist für alle gestorben und er ist für alle auferstanden. Für alle möchte unser himmlischer Vater ein neues Leben ermöglichen, ein Leben in Fülle, das uns in Jesus geschenkt ist. Wenn wir mit ihm auf dem Weg bleiben – so wie die beiden Emmaus-Jünger – werden wir weiterleben und wir werden neue Freuden entdecken. Wir werden spüren, dass der Stein weggenommen ist, weil Gott die Macht hat, alles gut zu machen. Mit Jesus überwinden wir alle Schwierigkeiten des Lebens.
Nur müssen wir auch daran glauben und darauf vertrauen. In der Auferstehung Jesu liegt die Gnade verborgen, dass das Gute in unserem Leben seinen Lauf nimmt und dass unsere Mühen und Anstrengungen ihren Sinn haben und nicht umsonst sind. Die tröstende und hoffnungsvolle Verbundenheit mit Gott und mit den Menschen kann gerade auch in der Hauskirche zustande kommen, wenn miteinander gebetet wird. Die Hauskirche führt uns zurück an die Anfänge, zurück an die Urkirche.
Nach der Auferstehung Jesu haben die Christen begonnen, sich in kleinen Gebetsgemeinschaften zu versammeln. Erst nach und nach wurde das gemeinsame Feiern in größere Räumlichkeiten verlegt. So liegt unsere Osterhoffnung gerade auch in den Hauskirchen, in der Versammlung und im Gebet in den Familien. Unsere Osterhoffnung liegt darin, dass sich von dort der Glaube erneut ausbreiten kann. Von dort aus können wir vielleicht wieder einander erzählen, was es bedeutet, dem Auferstandenen persönlich begegnet zu sein.
Ich wünsche euch allen die Freude von Ostern und dass ihr euer Leben von IHM, unserem auferstandenen Herrn, getragen wisst. Möge Gott auch euch einen Engel senden, der euch zuruft: „Fürchtet euch nicht! Ich weiß, ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier, denn er ist auferstanden, wie er gesagt hat“ (Mt 28,5-6) Ich schicke euch meinen priesterlichen Segen.
Pfarrer Konrad Gasser